Freundlich und hilfsbereit? Vorsicht, Kriminelle täuschen gerne Zwangslagen vor.
Die Polizei Bonn registrierte in den vergangenen Monaten einige Fälle von Mitleidsbetrug. Bei dieser kriminellen Masche werden Mitmenschen um zumindest einen erheblichen Anteil ihres Vermögens gebracht. Von angeblich Hilfsbedürftigen wurden die Gutherzigkeit und Hilfsbereitschaft der Opfer ausgenutzt. Nachfolgend schildern wir Ihnen einen realen Tatablauf:
Angeblich Mietschulden und Räumungsklage
Vor einem dreiviertel Jahr genoss Frau Dr. Karola M., am Rhein unterhalb des Alten Zolls sitzend, die Mittagsonne, als sich eine junge Frau, Anja S., mit gehörigem Abstand und kurz grüßend zu ihr auf die Bank gesellte. Irgendwann plauderten beide belanglos über den schönen Frühlingstag, bis Anja S. einen Anruf über Handy erhielt. Sie nahm das Gespräch an, stellte das Telefon laut, und nach kurzem Wortwechsel hörte auch Frau Dr. M., dass der Anrufer Anja S. anschrie. Es war von Mietschulden, verstrichenen Terminen und einer Räumungsklage die Rede. Das war kaum zu überhören. Als Anja S. das Telefonat beendete, brach sie in hemmungsloses Weinen aus, und Dr. Karola M. versuchte zu trösten.
Anja S. erzählte daraufhin, sie sei Bosnierin, beide Eltern verstorben – die Mutter bei einer Hochwasserkatastrophe 2014 und der Vater ein Jahr später bei einem Autounfall. Sie habe bis zu ihrer Flucht zu einem Freund des Vaters nach Deutschland bei einem Onkel in Sarajevo gewohnt, der sie aber zur Prostitution gezwungen habe, bis sie schwanger wurde. Als ihr Sohn Alexander zwei Jahre alt gewesen sei und der Onkel wieder angefangen habe, sie zu bedrängen, sei sie in einer Nacht- und Nebelaktion ohne Papiere und unter Strapazen mit ihrem kleinen Sohn nach Remagen gekommen.
Das Opfer bot der Täterin erstes Geld an
Mit Hilfe des Freunds des Vaters habe sie für sich und ihr Kind in Bonn-Endenich ein winziges Appartement anmieten können, das allerdings stark sanierbedürftig sei. Diesbezüglich habe es immer wieder Auseinandersetzungen mit dem Vermieter gegeben, der die Missstände immer nur behelfsweise behebe, aber die volle Miete verlange. Eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt einzuschalten, könne sie sich nicht leisten, sagte die junge Frau.
Die Mietschulden, die der Vermieter trotz Minderung geltend mache, würden mittlerweile 1.100 Euro betragen. Und er drohe immer wieder mit Räumung, wenn er nicht sein Geld bekomme. So schilderte es zumindest Anja S. auf der Bank am Alten Zoll. Frau Dr. M. hatte Mitleid mit der jungen Frau und bot ihr spontan 200 Euro an, die sie bei sich trug, damit Anja S. eine erste Zahlung an den Vermieter leisten könne und dieser sehe, dass seine Mieterin zahlungswillig sei.
Die Geldbeträge wurden immer größer
Im darauffolgenden halben Jahr trafen sich beide Frauen, die sich offenbar sympathisch waren, mehrfach wöchentlich. Anja S. übernahm hin und wieder kurze Besorgungen für Dr. M. Zwei Wochen nach dem ersten Zusammentreffen erbat und erhielt sie weitere 900 Euro angeblich zur Begleichung der Schulden. Und auch danach schaffte sie es, immer wieder kleinere Summen angeblich zur Begleichung „begründeter Fälligkeiten“ (Krankheit des Sohnes, Reparaturkosten des Hausdachs in Bosnien, Dämmung des Hauses) von ihrem Opfer zu kassieren. Als Frau Dr. M. in einem Krankenhaus lag, besucht Anja S. sie jeden zweiten Tag: mit dem Deutschlandticket, das Frau Dr. M für sie zahlte.
Bei einem der letzten Treffen erzählte Anja S., dass der Onkel in Bosnien gestorben sei und ihr angeblich wider Erwarten ein Haus und ein größeres Vermögen vermacht habe. Die Abwicklung daure allerdings noch Wochen. Da von Amtswegen nach ihr gesucht worden sei und sie in Bonn gefunden wurde, habe man ihr aber vermeintlich auch mitgeteilt, dass die verstorbenen Eltern und Großeltern noch offene Verbindlichkeiten, fast 40.000 Euro, hätten, die nun die Tochter begleichen müsse. Ebenso müsse sie die angeblich anfallende Erbschaftssteuer von 85.000 Euro für das zu erwartende Erbe zahlen. Insgesamt benötige sie also zeitnah 125.000 Euro und wisse nicht, wie sie diese Summe aufbringen solle, klagte die junge Frau.
Das Opfer zahlte nochmals 125.000 Euro
Und auch hier wollte Frau Dr. M helfen. Sie lieh Anja S. das benötigte Geld, weil diese ihr anscheinend aufrichtig die sofortige Rückzahlung nach Erhalt des Erbes versprach. Auffällig war: Anja S. erbat die Summen immer in bar. Überweisungsangebote lehnte sie ab und begründete auch dies plausibel klingend: Aufgrund der fehlenden Papiere habe sie kein Girokonto, so dass Überweisungen nicht möglich seien. Die Treffen und Geldübergaben zwischen Dr. M. und Anja S. fanden dann fast immer am Rhein oder in der Innenstadt statt, manches Mal im Bonner Münster, wo man gemeinsam eine Kerze für die Verstorbenen anzündete.
Als Dr. M. schließlich zu erkennen gab, dass der eigene Bargeldbestand fast erschöpft war, brach der Kontakt plötzlich von heute auf morgen ab. Frau Dr. Karola M. war fassungslos und wandte sich schließlich – leider viel zu spät – an die Polizei. Aus Mitleid hatte sich die Frau um einen erheblichen Teil ihres Vermögens gebracht. Davon wiedersehen wird sie nichts. Anja S. oder wie die Betrügerin im wirklichen Leben heißen mag, meldete sich kein weiteres Mal mehr. Vielleicht sucht sie in diesem Moment schon wieder scheinbar zufälligen Kontakt – dieses Mal möglicherweise bei einem netten, hilfsbereiten Herrn – und versucht ihre betrügerische Masche erneut.
Die Vorgehensweise ist immer ähnlich
Beim Mitleidsbetrug werden Herren oder Damen mittleren Alters im öffentlichen Raum, zumeist im Bereich der Innenstädte von jungen Frauen in ein Gespräch verwickelt. Die Täterinnen schildern, dass sie in Deutschland niemanden haben, der ihnen hilft, und beschreiben ihre angebliche Notlage mit frei erfundenen Szenarien wie zum Beispiel:
- einer bevorstehenden Operation oder einer Therapie zur Bekämpfung einer schweren Krankheit
- der Angst vor Vergewaltigung oder Menschenhandel
- einem gefährdeten Asylverfahren
- Krankheiten eines Kindes
- einem sanierungsbedürftigen Haus im Heimatland oder dort zu entrichtender Erbschaftssteuer.
So sollten Sie sich verhalten:
- Wenn eine fremde Person Ihren Impuls zu helfen weckt, reagieren Sie bitte immer zurückhaltend, besonnen und überlegt.
- Vertrauen Sie nicht darauf, dass die Geschichten der vermeintlich Bedürftigen, die sie ganz gezielt auf der emotionalen Ebene ansprechen, auch wirklich wahr sind – auch, wenn Ihnen Ihr Gegenüber noch so sympathisch und hilfebedürftig erscheint.
- Diese Mitleidsmasche ist in vielen Facetten denkbar. Seien Sie auf der Hut. Betrügerinnen und Betrüger haben auf jede skeptische Frage Ihrerseits eine Antwort.
- Sprechen Sie mit Ihren Angehörigen oder Ihrem nahestehenden Umfeld über die „neue Bekanntschaft“. Beim leisesten Betrugsverdacht wenden Sie sich bitte an die Polizei.
Marita Wichterich (Dipl.-Jur.)
Kriminalhauptkommissarin
Polizei Bonn
Direktion K – KK Kriminalprävention/Opferschutz
Telefon: 0228 – 15 7617 oder – 7676